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Kunst und Verbrechen Crime and Art

Jungle World (27.10.2004)

Kritik mit Radkappe
Kunst muss nicht bieder sein. Eine Ausstellung in Berlin dokumentiert politische Aktionskunst des 20. Jahrhunderts. von tanja dückers

Der Titel der aktuellen Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin, »Legal/Illegal«, ruft in Erinnerung, dass es einmal eine Zeit gab, in der Kunst noch als explizit politischer Akt des Protests angelegt war. Gezeigt werden die Arbeiten und Positionen von insgesamt 20 Künstlern und Künstlerinnen, die in der Grauzone zwischen dem noch Erlaubten und dem Verbotenen operieren; mit einigen Aktionen wird die Grenze zur Kriminalität auch ganz entschlossen überschritten. Die Grenzen zwischen künstlerischer Inszenierung und politischem Aktionismus verwischen, das verschnarcht Museale in der Präsentation von Kunst lässt die Ausstellung mit dem Untertitel »Wenn Kunst Gesetze bricht« weit hinter sich.

Die unter dem Ausstellungstitel zusammengefassten Künstler und Künstlerinnen sind einer Geschichte der Antikunst des 20. Jahrhunderts zuzuordnen: Futuristen, Dadaisten, Situationisten, Fluxus- und Konzeptkünstler; aber auch Gegenwartskunst und weniger bekannte Namen sind vertreten. Man merkt, dass es dem Kuratorenteam, Hans Winkler, Helen Adkins und Kai Bauer, nicht um ein Who is Who der anarchistischen Kunstszene geht, sondern darum, zu dokumentieren, wer in dieser Traditionslinie welche Positionen herausgearbeitet hat. Allen Künstlern und Künstlerinnen gemeinsam ist der Ansatz, Kunst nicht nur um ihrer selbst Willen zu betreiben, immer geht es darum, gesellschaftspolitisches Engagement mit künstlerischen Mitteln zu betreiben. Entsprechende Konsequenzen werden von ihnen miteingeplant und in Kauf genommen.

Es gibt höchst unterschiedliche künstlerische Vorgehensweisen bei der Gesetzesüberschreitung, wobei Humor und Ironie charakteristische Stilmittel dieser anarchischen Kunst sind.

Abbie Hoffman z.B. ließ an der Wall Street 100 Ein-Dollar-Noten apart von der Zuschauertribüne herunterregnen, und ganz so, wie es das Klischee will, balgten sich die Broker und Banker prompt um die Scheine. Infolge des allgemeinen Tumults kam die New Yorker Börse für einige Stunden zum Stillstand.
(...)
»Legal/Illegal« verweist auf ein transitorisches Moment von Kunst und ihrer Rezeption, denn die Vorstellung davon, was jeweils in einer Gesellschaft als legal und legitim gilt, ist einem kontinuierlichen Wandlungsprozess unterworfen. Vermeintlich gesetzmäßiges Verhalten kann schnell zu illegalem werden und umgekehrt. Die Begriffe markieren lediglich die beiden Enden eines Kontinuums. Allein die Etablierung eines Künstlers kann zum Beispiel auch schon zu einer veränderten Wahrnehmung einer seiner Aktionen führen, beispielsweise im Fall von Dennis Oppenheim, der längst zu einer Ikone der US-amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts geworden ist. Mit dem Aufkommen der situativen Kunst in den sechziger Jahren, als die Öffentlichkeit langsam an spontane Happenings gewöhnt wurde, wurden viele Aktionen wohlwollender aufgenommen, als dies noch wenige Jahre zuvor vorstellbar gewesen war. Von Land zu Land unterscheidet sich sowohl die öffentliche Rezeption solcher Kunst als auch die Toleranz gegenüber dem »invasiven Kunstwerk«.

Derartige den Staat und die Gesellschaft herausfordende, provokative Kunst gehört– trotz einiger Beispiele aus der Gegenwart – wohl einer Vergangenheit an, in der Subversion dazugehörte und es noch darum ging, mit einer als bürgerlich und verstaubt wahrgenommenen bildenden Kunst aufzuräumen. Zurzeit finden sich in der Kunst leider Züge eines neuen Biedermeiers, von dem zum Beispiel Norbert Biskys sich rasant verkaufende blonde Jünglinge und Reigen tanzende Mädchen ein beredtes Zeugnis ablegen.

Wenn Kunst Gesetze bricht

16. Oktober - 28. November 2004, täglich 12 - 18.30 Uhr

Eröffnung: Freitag, 15. Oktober, 19 Uhr
In der NGBK, Oranienstr. 25, 10999 Berlin

legal / illegal stellt Aktionen von Künstlern in den Mittelpunkt, bei denen die Grenzen zwischen künstlerischer Inszenierung und politischer Tat verschwinden, bei denen das Symbolische in Aktionismus, Illegalität oder gar Kriminalität mündet – Aktionen, die den Konflikt zwischen den Systemen Politik, Kunst und Leben suchen. Das Projekt beginnt zeitlich mit dem Anfang
des 20. Jahrhunderts.

[oh weh, jetzt hantieren sie auch noch mit systemtheoretischen Theroie-Versatzstücken in Kunstausstellungen herum]

In der Ausstellung werden Arbeiten von ca. 20 Künstlern aus Deutschland, Großbritannien, ltalien, der Schweiz und den USA gezeigt. Eine kleine, repräsentative Auswahl von Materialien wird historische Positionen (Arthur Cravan, Franz Jung bis George Maciunas) vergegenwärtigen.

Künstler in der Ausstellung: Chris Burden, Arthur Cravan, GAAG, Francis Gomila, Abbie Hoffman, Franz Jung, Janice Kerbel, Tony Labat, George Maciunas, Ann Messner, Gianni Motti, Dennis Oppenheim, p.t.t.red, Antonio Riello, Jackie Sumell, Jean Toche, Timm Ulrichs, Georg Winter.


Im Arsenal Kino werden Spiel- und Dokumentarfilme gezeigt, die eine zeithistorische Einordnung der künstlerischen Aktionen ermöglichen helfen sollen.

18.10., 21.00 Uhr: Cravan vs Cravan von T. Isaaki, 2002
20.10., 19.30 Uhr: Cravan vs Cravan von T. Isaaki, 2002
22.10., 19.30 Uhr: in girum imus nocte et sonsumimur igni, Guy
Debord, 1978, vorgestellt von Klaus
Bittermann
27.10., 19.30 Uhr fluxus-collection
29.10., 19.30 Uhr mai 68

Jeweils mit Kurzfilmen im Vorprogramm von Ann Messner, Abbie Hoffman, Gianni Motti, Francis Gomila

im Kino Arsenal, Potsdamer Platz 2, 10785 Berlin,
030-26 955-100, Eintritt € 6,-

Das zur Ausstellung erscheinende Buch, zweisprachig deutsch/englisch, beinhaltet Essays, Beiträge von Künstlern, Interviews und dokumentierende Texte, wie Manifeste etc. Die Autoren der Essays sind Helen Adkins, Berlin / R.A. Jürgen Arnold, München / Kai Bauer, Stuttgart / Eckhart Gillen, Berlin / Justin Hoffmann, Tübingen / Carlo McCormick, New York / Hans Winkler,
Berlin und New York. Das Buch bietet eine chronologische Zusammenstellung von Kunstwerken, Künstlern und Projekten, die mit diesem Kontext korrespondiert.
legal / illegal . 255 Seiten / 100 Illustrationen / herausgegeben von der NGBK, Berlin im Schmetterling Verlag, Stuttgart.

Franz Jung entführte zu Beginn der russischen Oktoberrevolution einen Fischdampfer von Cuxhaven nach Russland.
Abbie Hoffman brachte den Börsenbetrieb an der Wallstreet für einige Stunden zum Erliegen, nachdem er 100 Ein-Dollarnoten von der Zuschauertribüne den Brokern und Bankern zuwarf.
Dennis Oppenheim klaute Radkappen von Straßenkreuzern in Kalifornien und präsentierte die Beute vor dem Staatsgefängnis St. Quentin.
Gianni Motti nahm den unbesetzten Platz des Abgeordneten von Indonesien im UN-Sicherheitsparlament ein und hielt stellvertretend im hohen Hause seine Rede.
Und Tony Labat entführte den Kandidaten der kalifornischen Gouverneurswahl.

Die theoretische und praktische Auseinander-setzung innerhalb der Kunstwelt mit Illegalität zieht sich wie ein roter Faden durch die Kunst-strömungen des 20. Jahrhunderts: vom Futurismus, Dadaismus, den Situationisten, Fluxus, Konzeptkunst, bis zur Gegenwart. Bei der historischen Durchforstung dieser Kunstform ist auffällig, dass vor allem in Krisenzeiten häufiger radikale
Aktionen zu verzeichnen sind und Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf DADA, des Vietnam Krieges auf die Kunst der 60er / 70er Jahre, oder der Irakkriege in der Gegenwartskunst zu konstatieren sind.

Bei solchen Aktionen können oft die Grenzen zwischen künstlerischer
Inszenierung und politischer Aktion verschwinden, oder sich auch in der Nähe von "Kriminalität" ansiedeln.
Offensichtlich bleibt, dass die Arbeiten im Verhältnis der politischen
Ereignisse dieser Zeit zu sehen sind und sich ausschließlich der
künstlerischen Idee und deren Tragweite unterordnen - und nichts mit dem von Geldgier getriebenen Gangster und seinen ökonomischen Zwangshandlungen gemeinsam haben. Es geht nicht darum, Gewalt, Gesetzesbruch oder Illegalität um ihrer selbst Willen auszuüben.


[Wie wäre es denn mit der Anhäufung von symbolischen und kulturellem Kapital?]

Die Arbeiten spiegeln die Spannbreite der gesellschaftlichen
Verhaltensformen wieder, wozu z.B. neben Verständnis und Anpassung auch Aggression und Gewalt gehören und Teil des menschlichen Lebens sind.

Es werden Aktionen von Künstlern vorgestellt, die durch ihre
unkonventionellen politischen Statements und ihren Humor notwendigerweise in die rechtliche Grauzone zwischen legal und illegal eintauchen.

Die Arbeiten zeugen von engagierten, anarchistischen Ausdrucksformen, die auf gesellschaftliche und politische Situationen reagieren, sich einmischen und dabei extreme künstlerische Beiträge liefern. Sie zeugen auch von der
Notwendigkeit der Kunst, Schritte in die sogenannte "Illegalität" zu wagen, "aggressiveres" oder aktiveres Verhalten einzunehmen, die Illegalität nicht zwangsläufig ausschließt. So sind diese Aktionen in einem differenzierten Licht zu sehen, in welcher die Aussage und der künstlerische Ausdruck im Vordergrund stehen. Konsequenzen werden oft bewusst in Kauf genommen und in die Planung eingeschlossen. Es gilt, eine neue Definition der Begriffe legal
und illegal vorzunehmen.

Werte, Normen und Gesetze und deren Auslegungen sind dem Wandel der Zeit unterworfen und verändern sich stetig. So kann ein als strafbarer Akt eingestuftes Kunstwerk später oder auch anderswo als positiv inspirierende Aktion angesehen werden. So wurden Aktionen verteufelt und zu gegebener, späterer Zeit, z.B. durch die Etablierung eines Künstlers, positiv bewertet ans Tageslicht gebracht. (Dada, Futurismus). Womit auch der Titel und
zugleich die Variable legal / illegal umschrieben ist.


[Leute, ist das ein Geeiere. Kriminell ist der- oder diejenige, die dafür erklärt wird. Und die oben stehenden Umschreibungen versuchen sich auf Kosten anderer illegal und kriminell handelnder Personen zu etwas Besserem stilisieren. So will man im NGBK halt ein bisschen kriminell sein, ein bisschen Street Credibility und den Hauch des Verruchten mitnehmen, aber dann doch wieder in die schützenden Arme des Kunstbetriebs flüchten. Oh weh, wenn ihr das wenigstens als Taktik verstehen würdet, dann wäre es wenigstens clever, aber so ist das doch ein bisschen zu durchsichtig.
Wenigstens haben einige der hier Ausgestellten das praktisch und theoretisch etwas anders gesehen.]

(Mal wieder) Als Kunst camoufliert werden einige netzbasierten Kommunikationsguerilla-Aktionen bei Thomas Dreher unter dem Titel: Artivismo:
www.0100101110101101.org


Schöne Zusammenstellung und Darstellung unter anderem zu einigen netten Kommunikationsguerillaprojekten:

* "Zero" und "One"
* Darko Maver
* Vaticano.org
* "Cloning Art" versus Passwort
* "A Prank on a Prank"
* life_sharing
* Virus
* Vopos

ist doch eine antiquierte Angelegenheit. Aber wenn man die Fiktion von der Künstler-Genialität für die Aufrechterhaltung des Kunstmarktes benötigt, kommen wohl auch solche Berufsbedarfe auf. An dieser Stelle erinnern wir an alle unbekannten Fälscher und namenlosen Kopisten, die den Arbeitsmarkt beleben helfen und freuen uns über jede gelungene Fälschung, die dem Mythos von der Genialität und der Echtheit zuleibe rückt.


Thema:
Expertise, Fälschungen, Preisermittlung und Wertminderung –
Kunsthistorische Vorgehensweise, kunsttechnologische
Untersuchungsmethoden, versicherungstechnische Aspekte
________________________________________


Veranstalter: Praxisforum Berufsorientierung
Verena Voigt, Ludgerusweg 25, 48720 Rosendahl
Tel: 02547-934 934 oder Mobil: 0160 150 39 64
E-Mail: kontakt@praxisforum-berufsorientierung.de
http://www.praxisforum-berufsorientierung.de

Termin: 21./ 22. und 23. Oktober 2004

Ort: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (SIK)
8032 Zürich, Zollikerstrasse 32
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Inhalt:
Die Preise für Werke arrivierter Kunst sind in den letzten
Jahren teilweise massiv angestiegen. Umso wichtiger für
Sammler die Frage, ob ein Objekt eigenhändig ist.
Dementsprechend häufig wird das Schweizerische Institut für
Kunstwissenschaft (SIK) – das neben der Forschung über und der
Dokumentation von Schweizer Kunst auch ein Kompetenzzentrum für
Echtheitsabklärungen ist – herangezogen, um über „echt oder falsch“ zu urteilen: kunsthistorische und kunsttechnologische Methoden kommen dabei oft parallel zur Anwendung. Im Schadenfall werden zudem versicherungstechnische Aspekte relevant.

In dem dreitägigen Workshop (21./22./23. Oktober) werden die
Wechselwirkungen zwischen Kunstmarkt, Gutachterwesen und Preisentwicklung thematisiert. Zur Sprache kommen die kunsthistorische Vorgehensweise bei der Abklärung eines Kunstwerks auf seine Autorschaft bzw. Echtheit - sowie die Bedeutung von Kennerschaft und Stilkritik für die Fälschungserkennung. In diesem Zusammenhang werden auch kunsttechnologische Fragestellungen und Untersuchungsmethoden einbezogen - und in der Abteilung ‚Kunsttechnologie’ des SIK mit Hilfe von Analysegeräten und anhand von Gemälden erläutert.

Der Konfliktfall „Schadenfall-Wertminderung“ wird im Rahmen einer
Expertenrunde diskutiert (Moderation: Verena Voigt, M.A.). Beschreibung, Bewertung und Preisermittlung von Gemälden und Objekten des Kunstgewerbes bilden einen weiteren Schwerpunkt. Die Workshopleitungen übernehmen Barbara Nägeli (lic. phil., Kunsthistorikerin, SIK), Karoline Beltinger (Dipl. Rest., Leiterin Abteilung Kunsttechnologie, SIK) und Danièle Gros (Konservatorin-Restauratorin, SIK), Dr. Benno Lehmann (Kunst- und Auktionshaus Heidelberg Dr. Benno Lehmann GmbH).

Am 23. Oktober findet eine Exkursion nach Winterthur (Kunstmuseum,
Ausstellung Kimber Smith) statt.
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Teilnehmerbeitrag:
€ 250.- (240.- ermäßigt für Praxisforum-Teilnehmer oder bei
der Buchung von mehr als einer Veranstaltung. Enthalten im
Teilnehmerbeitrag ist der Tagungsimbiss. Nicht
enthalten die Fahrtkosten der Exkursion.)

Anmeldung:
Die Anmeldung bis zum 11. Oktober erfolgt über das
Anmeldungsformular auf der Homepage des Praxisforums
http://www.praxisforum-berufsorientierung.de

oder wie Lothar Späth mal politisch korrekt war (sein musste);
Glückwunsch Schleuser.net

Wie Lothar Späth Schleuser.Net auszeichnete

Die Presse (11.09.2004)

Der Direktor der Kunsthalle Wien, Gerald Matt, über das Verhältnis zwischen Avantgarde, Kultur und Politik.

Die Presse: Wie geht es der Kunst? Existiert noch eine Avantgarde?

Gerald Matt: Der Avantgarde-Begriff ist heute sehr schwierig geworden. Er bedeutet Vorhut und meint, dass die Kunst der gesellschaftlichen Entwicklung vorauseilt. Aber um Vorhut sein zu können, müsste man wissen, in welche Richtung sich die Gesellschaft bewegt. Wir erleben ja derzeit eine Krise der prognostischen Geschichtsphilosophie, auf der etwa der Sozialismus fußte. Die politischen Ereignisse der letzten zehn Jahre, 9/11, hat keiner voraussehen können.

Der Welt mangelt es an Utopien und an Selbstdeutungskompetenz. Man nimmt die Dinge, wie sie kommen, und agiert defensiv. Die Kunst hat zwei Optionen: Sie kann sich dem Status Quo entgegenstemmen und etwa an der Seite der Globalisierungsgegner Systemkritik betreiben. Oder sie begnügt sich damit, die Eingangshallen von Banken - den Kathedralen des 21. Jahrhunderts - zu behübschen. Unsere Aufgabe ist erfüllt, wenn wir relevante Vorschläge machen. Eines jedoch ist klar: Die Party- und Seitenblicke-Gesellschaft hat sich von der zeitgenössischen Kunst verabschiedet. Die Besucherzahlen gehen weltweit zurück.
(....)

Die Presse: Wie erkennt man denn überhaupt Avantgarde? Ist das nur eine Frage des Marketings?

Matt: Heute existiert alles gleichzeitig und gleichwertig: gegenständliche Malerei, Abstraktion, Video, Skulptur, Installation. Und keine Krähe hackt der anderen ein Auge aus. Die Zeit der großen Kunstfehden nach dem Muster "Pop-Art gegen Abstrakten Expressionismus" ist lange vorbei. Es gibt nicht viele Künstler, die in der Lage sind, gesellschaftliche Probleme so aufzugreifen, dass Debatten und erregte Auseinandersetzungen entstehen. Dass, wenn Sie mir den Vergleich gestatten, die Wunde des Amfortas sichtbar gemacht wird. Schlingensief ist für mich so ein Künstler.

(...)
Die Presse: Was kann denn Kunst heute noch bewirken. Provokationen sind eher ausgereizt.

Matt: Es gibt sehr wohl immer wieder Leute, die politisch unkorrekt den Finger auf Wunden legen wie Michel Houellebecq oder die Mexikanerin Teresa Margolles, die die Ausbeutung des menschlichen Körpers durch den Turbokapitalismus mit drastischen Mitteln kritisiert. Oft aber schminkt sich da eine eigentlich harmlose, affirmative Kunst eine Schicht Schock-Make-up auf, um im Boulevard ein paar Erregungswellen zu produzieren. Natürlich kann Kunst nicht die Welt verändern, aber doch immer, siehe Schlingensief, Katalysator für ernsthafte politische Diskussionen sein.

After some silence here we are back with a whole bunch of rebel:news - Nachdem es nun eine ganze Weile um uns herum ruhig war, kann ich euch beruhigen: Das war nur die Ruhe vor dem Sturm. Anbei also eine vollgepackte Mail mit News aus dem REBEL:ART Squat und anderen internationalen News. Enjoy, subvert & create creative resistance!

# REBEL:ART #2
Das nächste Magazin wird wahrscheinlich Ende 2004/Anfang 2005 erscheinen, aber die Vorbereitungen laufen bereits auf Hochtouren... Vielen Dank für die vielen Anregungen und Ideen, wir werden versuchen so viel wie nur möglich im nächsten Mgzn umzusetzen. Und denkt daran, R:A versucht ein open source Magazin zu sein, d.h. schickt uns ab heute eure Themen-Vorschläge, Verbesserungsideen, Contributions, Bilder, Texte, Sticker etc. etc. an 2@rebelart.net /// Next print issue will be out end 04/beginning 05 - please send us already your ideas, contributions, pictures, textes etc. to 2@rebelart.net

# New Projects
Wir arbeiten an einem Sticker-Projekt mit Stickma - mehr Infos bald auf rebelart.net & planen eine DVD-Compilation „communication guerilla - documents of creative resistance“. Contributions, Ideen, mehr Infos an future@rebelart.net /// We're working also on two new projects: A sticker project & a dvd compilation about "communication guerilla". Ideas & more info, contact us at future@rebelart.net

REBEL:ART* MAILINGLIST
* connecting art and activism
web. http://www.rebelart.net
list. http://www.rebelart.net/mailman/listinfo/rebelart

Schlingensief & Stoiber
Da steht er nun, „links“ von Edmund Stoiber, die rechte Hand lässig in der Anzughose, die rechte Hand zum Schutz erhoben, der kleine Junge von nebenan, mit den wuscheligen Haaren: Deutschlands angeblicher Provokateur Nr. 1.: Christoph Schlingensief („Tötet Helmut Kohl“). Das Foto fand sich auch im Panroma, 5.8. 2004 (so eine italienische Mischung aus Focus und Spiegel) in einem Artikel über die Neo-Geselligkeit in Italien bzw. in Europa. Angeblich war Stoiber ganz scharf darauf, neben Schlingensief abgelichtet zu werden. Ob das auf Gegenliebe gestoßen ist, wissen wir nicht. Von „Tötet Edmund Stoiber“ war jedenfalls nichts zu hören, das wäre doch eine prima Gelegenheit für eine wirkliche Provokation gewesen.

Hier ein weiteres Photo als Hofnarr6402v1

Das Prinzip Schlingensief ist die unablässige Kasperei für den Selbstverwirklichungstrip eines Hampelmannes, der in den siebziger Jahren wahrscheinlich bei den Bagwans gelandet wäre.
Na ja, und mit der Familie Wagner gibt es jetzt wenigstens welche, die Dich verstehen, sich Deiner angenommen haben. Von da ist es nicht mehr weit bis zu den Langweilern, die jammern, wenn ihnen die Gelder zusammengestrichen werden, und das als persönliche Beleidigung empfinden, wie etwa Peymann, aber lass man gut sein, Christoph, that's the way life is.

Ein Ramón Reichert bot an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich / Zürcher Fachhochschule im Wintersemster 2003/2004 einen Kurs über "Kunst & Guerilla. Von der Weltrevolution zur ästhetischen Subversion" an.

In künstlerische Strategien haben zunehmend Praktiken Eingang gefunden, die von einer politisch motivierten Kommunikationsguerilla entwickelt wurden. Im einführenden Kurs “Kunst & Guerilla” beschäftigen wir uns daher einerseits mit den symbolischen Formen der visuellen Rhethorik der “Neuen Weltordnung” und mit Projekten künstlerischer Produktion, welche die Konstruktion von Bildern und Metaphern, mit denen politische Macht gesichert und legitimiert wird, subversiv hinterfragen. Die Entwendung der strategischen Vorgaben durch alltägliche Taktiken ist ein Grundprinzip künstlerisch- kreativer Subversion innerhalb der Räume repräsentativer Ordnung. Bereits Umberto Eco hatte in seinem programmatischen Text “Für eine semiologische Guerilla” Versuche, die herrschenden Diskurse anders als durch Argumentation und Agitation zu kritisieren, mit der Metapher Guerilla bezeichnet. Wie bei seiner semiologischen Guerilla geht es in Bezug auf die künstlerische Gestaltung um einen abweichenden Gebrauch von Zeichen auf der Ebene der “Bedeutungssubversion”. Der französische Theoretiker Michel de Certeau sah das gesellschaftliche und technische Funktionieren der gegenwärtigen Kultur hierarchisiert durch die Tätigkeiten des Schreibens und Lesens. “Schreiben bedeutet, den Text zu produzieren, lesen bedeutet, den Text des Anderen zu rezipieren, ohne ihm den eigenen Stempel aufzudrücken, ohne ihn neu zu gestalten... Was man in Frage stellen muß, ist leider nicht diese Arbeitsteilung, sondern die Gleichsetzung von Lektüre und Passivität.” Künstlerische Produktion heißt in diesem Sinne “Lesen” im urbanen, kulturellen und politischen Kontext mit der Option, den ein oder andren Satz “umzuschreiben”.


Interessant bei den Literaturhinweisen ist das Buch das fehlt.

"Literaturhinweise:
Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1964.
Certeau de, Michel: Kunst des Handelns. Berlin: Merve, 1988.
Dery, Mark: Culture Jamming. Culture Jamming, Hacking, Slashing, and Sniping in the Empire of Signs. Westfield: Open Magazine Pamphlet Series # 25, 1993.
Eco, Umberto: Für eine semiologische Guerilla. In: Eco, Umberto: Über Gott und die Welt. Essays und Glossen. München 1985, S. 146–156.
Hall, Stuart: Encoding/Decoding. In: Hall, Stuart/Hobson, Dorothy/Lowe, Andrew/Willis, Paul (Hg.): Culture, Media, Language. Working Papers in Cultural Studies 1972–1979. London: Routledge 1980, S. 128–130.
Serres, Michel: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und der Gemische. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1993"


Der Eindruck verstärkt sich: Mit Kunst hat Kommunikationsguerilla am allerwenigsten zu tun.

In der Rohrpost-Mailingliste hat sich am 19.6. 2004 ein leopold blum [onomastikNOSPAM@braan.org] seinen Frust mit den Künstlern und den ganzen Netzkultur-Heinis vom Leibe geschrieben:

"Bis vor einem Jahrtausend konnten unter Verweis auf reale Phänomene
Debatten über den Zusammenhang von Subkultur und Dissidenz,
Verweigerung, Systemkritik geführt werden, ohne allzu absurd zu
erscheinen. Mehr und mehr diffundieren aber seitdem
widerwärtig-reaktionäre Elemente in die als heile Welt gedachte
Netzkultur. Der postmoderne Differenzkapitalismus löst ständig
Identitäten aus und setzt sie zusammen. Symbole und Codes sind die
Foltern, auf denen diese Identitäten produziert werden und sich selber
ständig neu generieren. Da das flexibilisierte Subjekt die Kraft der
Negation einbüßt, gewinnen Kategorien wie Distanz etc. neue
Bedeutungsrahmen. Eine Trennung von Netzkultur und Mainstream ist unter
den Aspekten der strittigen Verwohlfeilerung der Distinktionsmittel
kaum mehr aufrechtzuerhalten. Sie löst sich hin zu einer Transparenz
von Mainstream und sich subkulturell inszenierender Milieus auf.
Mittels der Waren, immer schon Teil der Netzkultur, werden dissidente
Milieus marktförmig zugerichtet, ihre Codes enteignet und gegen sie
gewendet. Ausgehend vom Verhältnis Krise und Nationalismus lassen sich
die institutionalen Identitätsfindungsdebatten bearbeiten, die in einen
gesamtgesellschaftlichen Diskurs eingebettet sind. Hierbei ist erstens
die Konstituierung einer flexibilisierten Subversion, sowie postmoderne
Vergemeinschaftungspraktiken in einem globalisierten Netz entscheidend,
und zweitens die Veränderung kultureller Praxis hin zu einem
transzendenzialen totalitären Multimedia-Eventionalismus. Zentral
stellt sich hierin die Frage, inwieweit die neue deutsche Welle auf
andere Debatten dieser Art zu beziehen ist und welche Rolle den
subalternen netzkulturellen Milieus beizumessen ist, in denen sich die
ProtagonistInnen selbst verorten. Denn: KünstlerInnen verarbeiten in
ihren Texten, sofern es sich nicht um übergeordnete Kategorien wie die
Rohrpost etc. handelt, die jeweiligen Debatten der Milieus oder Szenen,
in denen sie sich selbst orten. Daher ist besonders auf die Rezeption
der Linken in ihren Medien zu achten, in denen sich abgearbeitet wurde.
Es stellt sich dann die Frage ob der Lifestyle-Kulturalismus lediglich
eine Strategie innerhalb veränderter Kulturindustrien darstellt, oder
vermischt er sich mit gesamtgesellschaftlichen Diskursen zu einem
deutlichen Bewußtseinsloop."


Irgendwie habe ich aber den Eindruck, dass solche Erzählungen, die uns ständig nachweisen wollen, dass Subkulturen bereits Bestandteil des Systems sind, auch schon zu dem beklagten "bewussteinsloop" gehören. Da beschleicht einen schon das Gefühl, dass diese Redeweisen Teil selbst des Problem sind. .... Aber ist diese mitunter nicht weniger bornierte Selbstgewissheit ("Da das flexibilisierte Subjekt die Kraft der Negation einbüßt") subversiv?

 

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