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Die Presse (11.09.2004)

Der Direktor der Kunsthalle Wien, Gerald Matt, über das Verhältnis zwischen Avantgarde, Kultur und Politik.

Die Presse: Wie geht es der Kunst? Existiert noch eine Avantgarde?

Gerald Matt: Der Avantgarde-Begriff ist heute sehr schwierig geworden. Er bedeutet Vorhut und meint, dass die Kunst der gesellschaftlichen Entwicklung vorauseilt. Aber um Vorhut sein zu können, müsste man wissen, in welche Richtung sich die Gesellschaft bewegt. Wir erleben ja derzeit eine Krise der prognostischen Geschichtsphilosophie, auf der etwa der Sozialismus fußte. Die politischen Ereignisse der letzten zehn Jahre, 9/11, hat keiner voraussehen können.

Der Welt mangelt es an Utopien und an Selbstdeutungskompetenz. Man nimmt die Dinge, wie sie kommen, und agiert defensiv. Die Kunst hat zwei Optionen: Sie kann sich dem Status Quo entgegenstemmen und etwa an der Seite der Globalisierungsgegner Systemkritik betreiben. Oder sie begnügt sich damit, die Eingangshallen von Banken - den Kathedralen des 21. Jahrhunderts - zu behübschen. Unsere Aufgabe ist erfüllt, wenn wir relevante Vorschläge machen. Eines jedoch ist klar: Die Party- und Seitenblicke-Gesellschaft hat sich von der zeitgenössischen Kunst verabschiedet. Die Besucherzahlen gehen weltweit zurück.
(....)

Die Presse: Wie erkennt man denn überhaupt Avantgarde? Ist das nur eine Frage des Marketings?

Matt: Heute existiert alles gleichzeitig und gleichwertig: gegenständliche Malerei, Abstraktion, Video, Skulptur, Installation. Und keine Krähe hackt der anderen ein Auge aus. Die Zeit der großen Kunstfehden nach dem Muster "Pop-Art gegen Abstrakten Expressionismus" ist lange vorbei. Es gibt nicht viele Künstler, die in der Lage sind, gesellschaftliche Probleme so aufzugreifen, dass Debatten und erregte Auseinandersetzungen entstehen. Dass, wenn Sie mir den Vergleich gestatten, die Wunde des Amfortas sichtbar gemacht wird. Schlingensief ist für mich so ein Künstler.

(...)
Die Presse: Was kann denn Kunst heute noch bewirken. Provokationen sind eher ausgereizt.

Matt: Es gibt sehr wohl immer wieder Leute, die politisch unkorrekt den Finger auf Wunden legen wie Michel Houellebecq oder die Mexikanerin Teresa Margolles, die die Ausbeutung des menschlichen Körpers durch den Turbokapitalismus mit drastischen Mitteln kritisiert. Oft aber schminkt sich da eine eigentlich harmlose, affirmative Kunst eine Schicht Schock-Make-up auf, um im Boulevard ein paar Erregungswellen zu produzieren. Natürlich kann Kunst nicht die Welt verändern, aber doch immer, siehe Schlingensief, Katalysator für ernsthafte politische Diskussionen sein.
 

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