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Süddeutsche Zeitung (12.3.2004)

Frankreich
Subversiver Angriff im Untergrund

In Paris stehen 62 Sprayer vor Gericht, weil sie Werbeplakate in den Métro-Stationen mit Protest-Parolen gegen den Konsum verzieren.
Von Gerd Kröncke

Die Untergrundkämpfer mit den Spraydosen kamen immer am Freitagabend. Sie haben der Werbung den Krieg erklärt, und wo sie auftauchten, sahen die Wände der Métro-Stationen von Paris hinterher anders aus als vorher, wenn auch nicht schöner. An manchen Stellen gab es kein Plakat mehr, das unbefleckt, unbeklebt oder unbeschrieben geblieben wäre.

Sie waren Hunderte – fast ausschließlich junge Leute, aufgeteilt in kleinere Kampfgruppen. Schon die Über-30-Jährigen waren die Ausnahme in diesem subversiven Spiel. Es ging immer alles sehr schnell, aber ohne Hast. Die Stimmung war entspannt, man machte sozusagen einen Job. Ehrenamtlich und zum Wohle der Konsumenten.

Keine fest gefügte Struktur

Es gab keine fest gefügte Struktur, vielmehr trafen sich Leute, die sich zuvor nicht kannten und doch gleich gesinnt waren. Dabei ist Mund-zu-Mund-Propaganda längst die Kommunikation des vergangenen Jahrhunderts. Ihre Stelle hat das Internet eingenommen. Doch was da in der U-Bahn von Paris – und inzwischen auch in den wichtigsten Städten der Provinz – für die einen als antikapitalistisches Happening gilt, wird von anderen als Angriff verstanden.

Besonders von denen, die Reklame bezahlen oder dafür bezahlt werden. Sie haben schließlich die Polizei und die Gerichte zu Hilfe gerufen. So mussten sich also diese Woche 62 Beschuldigte vor einer Zivilkammer in Paris verantworten. Die meisten waren an einem Freitag im November vorübergehend festgenommen worden, fast nur Männer. Die Frauen blieben von den Polizisten unbehelligt, weil keine Polizistinnen dabei waren, die sie hätten durchsuchen können.

An die tausend „Viermaldrei“ schmücken oder verschandeln die Métro-Stationen, je nach Betrachtungsweise. Vier mal drei Meter sind die klassischen Maße einer Werbe-Wand. Einige Hundert haben die, die sich als Résistance gegen die Manipulation verstehen, an ihrem besten Abend mit ihren eigenen Botschaften versehen.

Ein Spruch auf einem Plakat für Unterwäsche, auf dem mehr Haut als Unterwäsche zu sehen war: „Frauen sind nicht zu verkaufen“. Sie sprayen gegen Sexismus, gegen Konsum, gegen Manipulation, gegen Verlockungen einer schöneren Scheinwelt. Manches ist halbwegs originell, wie die Parole auf einer Karibik-Ferien-Werbung: „Besonders geeignet für Sozialhilfe-Empfänger“. Der immer wiederkehrende Slogan lautet schlicht „ras le bol“: „Schnauze voll von Werbung“ oder „Stopp la pub“.

Ehrenname Robert Johnson

Viele heißen Robert Johnson, das ist eine Art Ehrenname, den sich zulegt, wer sich zur Avantgarde der Sprayer zählt. Der authentische Robert Johnson war ein Werbe-Millionär, der sich in den Siebzigerjahren angeekelt von der Werbung abwandte und sein Talent gegen sie verwendete. Seinen Kindern verbot er, weiter TV-Werbung anzugucken. Er kreierte schöne Sprüche wie „Denken oder Kaufen“ gegen den Konsum. Heute wird er von beiden bewundert, von denen die werben und denen, die sie bekämpfen.

Die jungen Leute, die Robert Johnson heißen wollen, wurden von der Werbefirma „Métrobus“ mit einer Klage überzogen. 922.000 Euro Schadenersatz werden gefordert, eine absurde Summe für alle Sprayer und Maler. Reinigung und neues Kleben waren der größte Posten, die Auftraggeber der Werbung sollten auch entschädigt sein. Manche Designer versuchen schon, die Bildersprache der Sprayer aufzunehmen. So sind die Plakate für ein mondänes Pariser Kaufhaus mit einer graffiti-artigen Schrift versehen. Auch diese blieben nicht verschont.

Beim Prozess gegen die 62 von Paris, wollte die Verteidigung auch Yvan Gradis als Zeugen bitten, einen Aktionisten, der schon seit zwei Jahrzehnten mit seiner Gruppe Rap („Résistance à l’Aggression Publicitaire“) seinen Anti-Reklame-Feldzug führt. „Ihre Aktionen“, hätte er gern vor Gericht gesagt, „sind rechtens und bewundernswert, weil sie gewaltlos sind und sich nicht gegen die Einrichtungen der Métro richten.“

Doch wollte der Richter ihn nicht hören. „Die Werbung ist ein Fluss“, hätte Gradis dem Gericht noch gesagt, „der leicht alles überfluten kann.“ Auch der Schriftsteller Frédéric Beigbeder, der selbst einmal Werbetexter war und sich mit seinem Anti-Werbe-Buch „99 Francs“ einen Namen als einer der schärfsten Kritiker gemacht hat, wartete vergeblich. „Ist es richtig“, fragte ihn vor der Tür eine junge Frau, „dass 50 Prozent der Werbung wirkungslos ist?“

Auch der dritte Zeuge der Verteidigung blieb ungehört. Dabei hätte Oliviero Toscani, ein Künstler der Werbung, dem manches Unternehmen ein gutes Image verdankt, wenigstens sagen können, wie gute Plakate aussehen sollen. Er hat inzwischen Verständnis für die Antipub-Kampagne. „Lieber Plakate verschandeln als die Seelen der Menschen“, sagte er im Gerichtssaal, aber vor der Verhandlung. Denn der Richter wollte sich auf keine ideologisch philosophische Diskussion einlassen. Übrigens ergab eine Umfrage, dass 73 Prozent der Pariser nichts gegen die Werbung in der Métro haben. Das Urteil gegen die Bilderstürmer wird Ende April verkündet.
 

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