Unmittelbares Bedürfnis
Warum Fritz Teufel einmal einem Bundesanwalt einen Fausthieb verpaßte
Am Samstag, den 21. Mai 1977 wurden Ronald Fritzsch, Gerald Klöpper, Till Meyer, Ralf Reinders, Andreas Vogel und Fritz Teufel morgens aus der U-Haft in Berlin-Moabit ins Polizeipräsidium am Tempelhofer Damm verbracht. Die »Sechserbande« aus der »Bewegung 2. Juni« wurde beschuldigt, den CDU-Politiker Peter Lorenz entführt zu haben. Da die Ermittler große Beweisnot litten, verfielen sie auf den Einfall, die Beschuldigten sage und schreibe 140 Zeugen vorzuführen. Auf Beschluß von Horst Kuhn, Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof, sollte das »auch gegen den Willen der Beschuldigten, erforderlichenfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwanges« erfolgen. Bei Reinders, Vogel und Teufel sei »die Haar- und Barttracht (...) zum Zwecke der Gegenüberstellung« so zu ändern, »daß das Aussehen der Beschuldigten wieder dem zur Zeit ihrer Festnahme entspricht«, verfügte Kuhn. Auf zwei lange Tage war die Sache angesetzt, »die Fesselung der Beschuldigten« durchweg gestattet. Gewieft, wie sich Ermittlungsrichter Kuhn vorkam, sah er von einer »vorherigen Anhörung« zum Zwangsvorführungsprogramm ab, »weil dadurch der Zweck der geplanten Maßnahmen gefährdet würde«.
Schließer und Polizeibeamte nutzten die Gelegenheit, ihr Mütchen an den Genossen zu kühlen. Als die Gefangenen sich ihrer Überführung widersetzten, erhielten sie Schläge in die Nieren. Haarbüschel wurden ausgerissen. Bei der Vorführung auf dem Präsidium standen dann hinter jedem Gefangenen mehrere Polizisten. Ein Beamter hielt den Kopf fest, ein anderer hantierte mit einer am Handgelenk befestigten Knebelkette. Versuchten die Gefangenen, den Kopf zu senken oder die Augen zu schließen, wurden die Knebelketten in drastischer Weise zugeschnürt. »Na, gib ihm doch!« riefen die Polizisten. »Dreh mal fester– guck mal, wie schön meiner steht!« oder: »Zwei Umdrehungen sind noch drin, Fritze!« Die Hände einiger Gefangener liefen blau an. Bei Reinders platzte die Haut in Richtung Ellenbogen auf. Er blutete stark.
»Am Sonntag morgen hatten dann drei von uns das rechte Handgelenk verbunden«, schrieb Teufel später. Er schnitt sich für den Sonntag mit einer Rasierklinge »so gut es ging« eine Glatze und schminkte mit Stempelkissen, Schuhwichse und Lippenstift sein Gesicht. Ein Bundesanwalt versuchte ihm währenddessen »die ganze Zeit« weiszumachen, daß ein zwangsweise durchgeführtes Gesichtwaschen »juristisch gedeckt« sei. Wie es der Zufall wollte, lief dieser Anwalt dem Genossen einige Tage später bei einem Haftprüfungstermin im Kriminalgericht Moabit über den Weg. »Das ist er!« rief Teufel laut Bundesgerichtshof, und schlug dem Staatsanwalt Herbert Dörfler »mit der Faust ins Gesicht. Dabei zerbrach das Glas der Brille des Geschädigten.« Der erlitt »unter dem linken Auge eine erheblich blutende offene Verletzung«.
Teufel wertete den gezielten Hieb zutreffend »als Vergeltung für die Gegenüberstellungsmaßnahmen vom 21./22. Mai 1977«. Das bewahrte ihn leider nicht vor einer vierwöchigen Arreststrafe, die ihn allen Ernstes »nachdrücklich zur Einhaltung der Ordnung in der Haftanstalt« anhalten sollte, wie es Ermittlungsrichter Kuhn formulierte. Johannes Agnoli fand Jahre später die schöne Formulierung: »Befreiung ist ein unmittelbares Bedürfnis, das sich zum Beispiel in dem stillen Wunsch eines jeden Untergebenen (...) konkretisiert, dem jeweiligen Vorgesetzten einmal einen Fußtritt zu verpassen.«
In vielen Nachrufen auf Fritz Teufel wurde dieser für seinen böse-spitzbübischen Humor und seine feine Intellektualität gerühmt. Völlig zu Recht, allerdings: Soviel Vereinnahmung des am Ende völlig verarmten Genossen durch das Bürgertum war nie! Dabei gerät wohl nicht ganz zufällig der immer wieder auch gegen die herrschende Ordnung und ihre Schergen handfest konfrontationsbereite Fritz Teufel völlig aus dem Blick. Deswegen mußte diese Geschichte hier erzählt werden.
Junge Welt, 17.07.2010 / Feuilleton / Seite 12
via Anne Roth
Warum Fritz Teufel einmal einem Bundesanwalt einen Fausthieb verpaßte
Am Samstag, den 21. Mai 1977 wurden Ronald Fritzsch, Gerald Klöpper, Till Meyer, Ralf Reinders, Andreas Vogel und Fritz Teufel morgens aus der U-Haft in Berlin-Moabit ins Polizeipräsidium am Tempelhofer Damm verbracht. Die »Sechserbande« aus der »Bewegung 2. Juni« wurde beschuldigt, den CDU-Politiker Peter Lorenz entführt zu haben. Da die Ermittler große Beweisnot litten, verfielen sie auf den Einfall, die Beschuldigten sage und schreibe 140 Zeugen vorzuführen. Auf Beschluß von Horst Kuhn, Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof, sollte das »auch gegen den Willen der Beschuldigten, erforderlichenfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwanges« erfolgen. Bei Reinders, Vogel und Teufel sei »die Haar- und Barttracht (...) zum Zwecke der Gegenüberstellung« so zu ändern, »daß das Aussehen der Beschuldigten wieder dem zur Zeit ihrer Festnahme entspricht«, verfügte Kuhn. Auf zwei lange Tage war die Sache angesetzt, »die Fesselung der Beschuldigten« durchweg gestattet. Gewieft, wie sich Ermittlungsrichter Kuhn vorkam, sah er von einer »vorherigen Anhörung« zum Zwangsvorführungsprogramm ab, »weil dadurch der Zweck der geplanten Maßnahmen gefährdet würde«.
Schließer und Polizeibeamte nutzten die Gelegenheit, ihr Mütchen an den Genossen zu kühlen. Als die Gefangenen sich ihrer Überführung widersetzten, erhielten sie Schläge in die Nieren. Haarbüschel wurden ausgerissen. Bei der Vorführung auf dem Präsidium standen dann hinter jedem Gefangenen mehrere Polizisten. Ein Beamter hielt den Kopf fest, ein anderer hantierte mit einer am Handgelenk befestigten Knebelkette. Versuchten die Gefangenen, den Kopf zu senken oder die Augen zu schließen, wurden die Knebelketten in drastischer Weise zugeschnürt. »Na, gib ihm doch!« riefen die Polizisten. »Dreh mal fester– guck mal, wie schön meiner steht!« oder: »Zwei Umdrehungen sind noch drin, Fritze!« Die Hände einiger Gefangener liefen blau an. Bei Reinders platzte die Haut in Richtung Ellenbogen auf. Er blutete stark.
»Am Sonntag morgen hatten dann drei von uns das rechte Handgelenk verbunden«, schrieb Teufel später. Er schnitt sich für den Sonntag mit einer Rasierklinge »so gut es ging« eine Glatze und schminkte mit Stempelkissen, Schuhwichse und Lippenstift sein Gesicht. Ein Bundesanwalt versuchte ihm währenddessen »die ganze Zeit« weiszumachen, daß ein zwangsweise durchgeführtes Gesichtwaschen »juristisch gedeckt« sei. Wie es der Zufall wollte, lief dieser Anwalt dem Genossen einige Tage später bei einem Haftprüfungstermin im Kriminalgericht Moabit über den Weg. »Das ist er!« rief Teufel laut Bundesgerichtshof, und schlug dem Staatsanwalt Herbert Dörfler »mit der Faust ins Gesicht. Dabei zerbrach das Glas der Brille des Geschädigten.« Der erlitt »unter dem linken Auge eine erheblich blutende offene Verletzung«.
Teufel wertete den gezielten Hieb zutreffend »als Vergeltung für die Gegenüberstellungsmaßnahmen vom 21./22. Mai 1977«. Das bewahrte ihn leider nicht vor einer vierwöchigen Arreststrafe, die ihn allen Ernstes »nachdrücklich zur Einhaltung der Ordnung in der Haftanstalt« anhalten sollte, wie es Ermittlungsrichter Kuhn formulierte. Johannes Agnoli fand Jahre später die schöne Formulierung: »Befreiung ist ein unmittelbares Bedürfnis, das sich zum Beispiel in dem stillen Wunsch eines jeden Untergebenen (...) konkretisiert, dem jeweiligen Vorgesetzten einmal einen Fußtritt zu verpassen.«
In vielen Nachrufen auf Fritz Teufel wurde dieser für seinen böse-spitzbübischen Humor und seine feine Intellektualität gerühmt. Völlig zu Recht, allerdings: Soviel Vereinnahmung des am Ende völlig verarmten Genossen durch das Bürgertum war nie! Dabei gerät wohl nicht ganz zufällig der immer wieder auch gegen die herrschende Ordnung und ihre Schergen handfest konfrontationsbereite Fritz Teufel völlig aus dem Blick. Deswegen mußte diese Geschichte hier erzählt werden.
Junge Welt, 17.07.2010 / Feuilleton / Seite 12
via Anne Roth
contributor - am Sonntag, 18. Juli 2010, 22:09 - Rubrik: Happening