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inszenieren "generalstabmässige Aktion" bei den Schweizer Schwimmmeisterschaften:

«Wagner setzte ein künstlerisches Denkmal zu Ehren des kriegerischen neoliberalen Konkurrenzsystems und Leistungswahns.»

So richtig kann er sich nicht entscheiden, der Zürcher Tagesanzeiger (23.3.2009), ob er empört sein soll oder doch gratulieren muss:

"Roland Wagners Weltrekord-Versuch über 50 Meter Crawl entpuppte sich am Renntag als Protestanlass des Cabaret Voltaire. Einige Sportfans fanden dies gar nicht lustig.

Wagner
Sorgfältig inszenierter Gag: Der Fanclub reist an, Roland Wagner konzentriert sich, jubelt und gibt Interviews.


Sonntagmorgen, 10.21 Uhr, Hallenbad Oerlikon. Der grosse Moment ist gekommen. Roland Wagner steht auf dem Startblock und lockert seine langen Arme. In wenigen Augenblicken wird der 44-jährige Manager und ehemalige Spitzenschwimmer an der Schweizer Meisterschaft den ersten Vorlauf über 50 Meter Freistil bestreiten. In diesem Rennen, so hatte er im Socialnetwork Facebook angekündigt, werde er den Weltrekord über 50 Meter Freistil brechen. Die 20-köpfige, mit rosa Schnauzmützen ausgestattete Delegation seines «Bison Fanclubs», die sich um 9 Uhr im Hauptbahnhof getroffen und gemeinsam mit dem Tram nach Oerlikon gefahren ist, macht auf der Tribüne Stimmung.

10.22 Uhr. Der deutsche Speaker kündigt Wagners Rekordversuch an, der Fanclub skandiert «Roo-li!-Roo-li!», die Athleten gehen in Position. Das Startsignal fällt. Wagner kommt schlecht vom Block, seine rosa Badekappe taucht als letzte aus dem Wasser. Nach wenigen Metern aber hat er zu seinen nicht mal halb so alten Konkurrenten aufgeschlossen, und man merkt, wie man mitzufiebern beginnt. Die Weltbestzeit wird er nicht aufstellen, doch, so hofft man mit und für ihn, schafft er ja wenigstens eine anständige Zeit und die Finalqualifikation. Die Hälfte der Beckenlänge ist zurückgelegt, da macht Wagner plötzlich eine Wende und crawlt im selben Tempo zum Startblock zurück. «Was söll dä Scheiss», sagt ein Zuschauer halb erstaunt, halb wütend. Als Wagner an seinem «Ziel» ankommt, reckt er die Faust in die Höhe und mimt den Sieger. Der Speaker ist empört, vereinzelte Buhrufe gehen durch die Halle. Nur der «Bison Fanclub», der johlt und feiert, öffnet Sektflaschen und schwenkt rosa Kartonschilder mit der Aufschrift «00:00:00 Sekunden».


Schliesslich enthüllt sich auch dem "Tagi"-Schreiber der Sinn des Ganzen, aber warum das Ganze wegen der Aufgereghteit von so ein paar Leistunghubern mit zuviel Hormonen und anderen Zutaten am Ende fast abgesoffen sein soll, erschliesst sich weder aus dem Verlauf der Aktion noch aus dem Artikel:

In diesem Moment dämmert es wohl jedem nicht Eingeweihten in der Schwimmhalle (ja, auch dem Schreibenden): Das ist die pralle Verarsche! Oder um es in den Worten der Pressemitteilung des Cabaret Voltaire wiederzugeben, die gleich im Anschluss an den «Wettkampf» verteilt wird: «Wagner setzte ein künstlerisches Denkmal zu Ehren des kriegerischen neoliberalen Konkurrenzsystems und Leistungswahns.» Wer sich die ganze doppelseitige Mitteilung zu Gemüte führt, entdeckt darin, wie «generalstabsmässig» (auch wenn dies in Zusammenhang mit dem Dadaismus der wohl unmöglichste Ausdruck ist) die ganze Schwimmkunst-Aktion geplant und durchgezogen wurde.

Man hat sehr gezielt und verblüffend glaubwürdig Facebook, Ron Orp, den «Tages-Anzeiger» und gar den Wiener «Kurier» und deren Teilnehmer und Leser hinters Licht geführt. Zwar entspricht vieles, was gesagt, gebloggt und gedruckt wurde, der Realität. So arbeitet Wagner tatsächlich bei IBM. Er ist auch Familienvater, war früher im Nationalkader, hat monatelang trainiert, und er hat die Limite für die Teilnahme an der Schweizer Meisterschaft erfüllt. Aber immer, wenn er oder Cabaret-Voltaire-Ko-Direktor Philipp Meier auf die Ernsthaftigkeit dieses Weltrekordprojekts angesprochen wurden (und dabei mit Vehemenz erklärten, das sei «eine topseriöse Geschichte»), haben sie im Zeichen der am Sonntag live vor Publikum enthüllten «sozialen Skulptur» (O-Ton Pressetext) geflunkert. Laut Roland Wagner hat nicht mal seine Schwimmtrainerin Susanne Keller von der Aktion gewusst, was ihm, wie er am Sonntag zugab, auch zu schaffen machte.

Einer wollte Wagner verprügeln


Nun, wie Kunstprofessorin Sibylle Omlin im Tagi-Interview vom 13. März erklärte, gehören Übertreibungen, Täuschungen oder Provokationen seit je zur Kunst, beim Dadaismus spielen sie gar eine zentrale Rolle. Wer dies weiss, gibt sich als fairer «Gelinkter» und gratuliert dem Cabaret Voltaire und Roland Wagner zur überzeugenden Protestaktion. Verständlicherweise sehen das nicht alle so. Gerade die Sportler, Coaches und Veranstalter, die Wagner nachträglich «aus sportethischen Gründen» disqualifizierten, fühlen ihre Meisterschaft für einen «schlechten Witz» missbraucht und – dies macht die Wut umso grösser – erst noch von einem aus ihrer eigenen Gilde.

Als dann jemand aus dem Fanclub ungeschickterweise auch noch eine Schampusflasche zerbricht (ob es wirklich nötig war, in der Halle das Sektnippen zu zelebrieren, sei dahingestellt) und deren Scherben bis fast an den Beckenrand runter verstreut liegen, kippt die Stimmung endgültig ins Ungemütliche. Es wird geschubst, aggressiv herumgeschrien, und ein komplett durchstartender Trainer droht Wagner gar handfeste Prügel an. Am Ende ist es dann die angerückte Polizei – auch das passt zu Dada, ist aber nicht inszeniert –, die schlichtet und die Aktion vor dem Ersaufen bewahrt."
 

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